Staudamm und Wasserkraftprojekt an der Thjorsa in Island gestoppt!
Die Thjorsa ist ein Gletscherfluss im Süden Islands. Mit 230km Länge ist sie der längste Fluss der Insel. Durchnittlicher Sommerabfluss liegt zwischen 350 und 700 m³/s. Die Thjorsa beherbergt den größten Lachsstamm aller isländischen Flüsse. Im Oberlauf des Flusses besteht bereits ein Stau mit Wasserkraftanlage, allerdings in einer Region, die für die Lachse seit jeher natürlicherweise nicht erreichbar war.
Einen ersten Versuch, einen großen Stausee mit Wasserkraftanlage im Unterlauf zu errichten, gab es bereits 2000/2003. Damals konnte Orri Vigfusson in Zusammenarbeit mit Dr. Margaret Filardo vom Columbia River/USA den Bestrebungen erfolgreich entgegenstehen. Nun nach Orris Tod, wurde ein neuer Versuch gestartet, das Großprojekt umzusetzen.
Geplanter Staudamm im größten Lachsfluss Islands
Im Frühjahr 2023 fehlte zum Baubeginn nur noch die Zustimmung von zwei Gemeinden in der Region.
Die Genehmigung der Fischereibehörde war bereits erteilt, ebenso die Zustimmung der Energiebehörde.
Die Umsetzung dieses gigantischen Projekts hätte den größten Bestand an Atlantischen Wildlachsen in Island nachhaltig geschädigt oder vernichtet.
Abb.: Wassermengen und Fischaufstieg nach geplantem Staudammbau
Die Abbildung verdeutlicht, wie die Verteilung der Wassermengen nach dem Bau gewesen wäre und wie es zu einer Fehlleitung der aufsteigenden Lachse und damit zu einer dramatischen Verschlechterung der Wandersituation mit entsprechenden Verlusten gekommen wäre. Der geplante Abstieg der Smolts über die 32m hohe Staumauer in Form einer völlig unzureichenden Abstiegseinrichtung wäre nach Einschätzung der Fachwelt nur mit hohen Fischverlusten möglich gewesen.
Der entstehende Staubereich selbst, hätte dem Fluss und seinen Bewohnern ca. 6km frei fließenden Lebensraum genommen. Die Transformation vom Fluss zum stehenden Gewässer führt in aller Regel zu signifikanten Verlusten von Fliessgewässerfischen durch fischfressende Vögel und andere Prädatoren.
Salmon Summit - Lachsgipfel in Rejkjavik im März 2023
Am 16./17. März veranstaltete der NASF Island einen Lachsgipfel in Reykjavik. Dort präsentierten Stefan und Armin die Arbeit des NASF Germany – Wanderfische ohne Grenzen e.V.
Während sich viele Vorträge auf dem Gipfel um das Thema „Aquakultur in offenen Netzgehegen“ drehten, berichteten wir hauptsächlich über unsere Bemühungen, die Durchgängigkeit der Flüsse zu verbessern und die schädlichen Auswirkungen der Stromerzeugung durch Wasserkraft deutlich zu machen.
Im Anschluss an unseren Vortrag sprach uns Rechtsanwältin Sif Konradsdottir an, die im Auftrag der isländischen Naturschutzorganisation „Naturrugrid“ versuchte, das Wasserkraftprojekt an der Thjorsa zu verhindern.
Sie führten mit 9 weiteren Klägern eine Sammelklage gegen die Erteilung der Genehmigung für das Projekt.
Unsere erste Reaktion war, dass der Neubau eines Staudammes mit Wasserkraftnutzung angesichts der geltenden EU Wasserrahmenrichtlinie nicht vorstellbar sei.
Aufgrund seines Beitrittskandidatenstatus richtet sich Island ebenfalls an der EU Gesetzgebung aus.
Wir hatten damit Hoffnungen geweckt und sagten jegliche Unterstützung in Form von einschlägigen wissenschaftlichen Studien sowie Kontakten aus unserem Netzwerk zu.
Elvar Fredriksson und der NASF Island fokussierten sich dann sehr schnell auf die Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema.
In einer virtuellen Konferenz mit Sif Konradsdottir, Snaebjörn Gudmundson (Naturrugrid), zwei betroffene Land- und Fischereirechtseigentümer, Elvar Fredriksson, Stefan Ludwig und Armin Weinbrenner stimmten wir uns über die Möglichkeiten ab, die wir beitragen konnten.
Im Ergebnis stellten wir Verbindung zu Ingebrigt Uklem vom NINA Institut in Trondheim her.
Das Netzwerk wurde aktiv!
Nun gab es Stellungnahmen des NINA Instituts zu den wahrscheinlichen Folgen des Projekts für den Fluss und seine Fischbestände, von Margaret Filardo als mit der Sache seit Jahrzehnten vertraute Fischbiologin und von Stefan und Armin.
Die zentralen Aussagen aller Stellungnahmen war identisch: das Projekt würde den Bestand an Lachsen und anderen Wanderfischen stark gefährden. Mit einem Rückgang der Bestände wäre zu rechnen.
Der NASF Island veröffentlichte die Stellungnahmen in der isländischen Presse und im isländischen Fernsehen.
(Link zum Artikel von NASF Germany: https://www.visir.is/g/20232407508d/aetla-is-lendingar-ad-forna-sinum-laxa-stofnum-)
Auf Google und in den sozialen Medien war der NASF Island extrem präsent und konnte damit Einfluss auf die öffentliche Meinung in Island nehmen.
Die Genehmigungen werden zurückgezogen - das Projekt ist gestoppt!
6 Stunden, nachdem die Erteilung der noch ausstehenden Genehmigung der letzten Gemeinde von ihrem Vertreter mit dem Satz „30 years of debate are behind us“ angekündigt wurde, gab die Behörde für „Umwelt und natürliche Ressourcen“ den Beschwerden der Naturschutzorganisationen statt und zog die Genehmigung für das Kraftwerk aufgrund von Mängeln im Zusammenhang mit der Wasserrahmenrichtlinie zurück.
Dies hatte zur Folge, dass alle anderen Genehmigungen ebenfalls wirkungslos wurden.
Ein guter Tag für die Lachse Islands
Dieses Vorhaben ist nun erst einmal vom Tisch. Nicht unbedingt für alle Zeiten, aber die Verhinderung des Staudammbaus war ein Tag zum Feiern für alle, denen die Natur und hier im Besonderen die Bestände von atlantischen Wildlachsen und anderen Wanderfischen ein wichtiges Anliegen, um nicht zu sagen eine „Herzensangelegenheit“ sind.
Es ist darüber hinaus ein eindrucksvolles Beispiel was die nationale und internationale Vernetzung von Menschen, die sich in ihrem Bemühen, die Flüsse und ihre gefährdeten Bewohner zu schützen und zu retten, sehr oft auf verlorenem Posten fühlen, erreichen kann.
Eine wunderbare Wertschätzung für die Arbeit von Orri Vigfussón, der dieses Netzwerk gegründet hat und dessen Vision nun Früchte trägt.